Prof. Stefan Kooths, Konjunkturchef des IfW Kiel, kommentiert den Ausgang der Bundestagswahl und den Handlungsspielraum einer künftigen Regierung:
„Das Wahlergebnis lässt Raum für einen marktwirtschaftlichen Aufbruch, zumal sich jede Regierung angesichts schwindender Wachstumskräfte unnötig teuren Interventionismus immer weniger leisten kann.
Anders als die Vorgängerregierung kann die neue Koalition nicht mehr aus dem Vollen schöpfen. So wurde der Bundeshaushalt im Zuge der Corona-Krise arg strapaziert; daher ist jetzt Konsolidierung angezeigt, um den Staatshaushalt krisensicher zu machen. Noch weitaus wichtiger als die Corona-Lasten sind jedoch die demografisch bedingt schwindenden Wachstumskräfte. Damit dürfte so manches ausgabenwirksame Wahlversprechen an der finanzpolitischen Wirklichkeit zerschellen. Denn auch dem Drehen an der Abgabenschraube sind Grenzen gesetzt. Bereits vor der Corona-Krise entsprachen die Staatseinnahmen mit 46,5 Prozent der Wirtschaftsleistung – ein gesamtdeutsches Allzeithoch. Es wäre zudem fahrlässig, in der Finanzpolitik mit einer Wette auf ewig niedrige Zinsen die Konsolidierung schleifen zu lassen. Um die Schuldenbremse bald wieder einzuhalten, kann Geld nicht großzügig verplant werden, sondern müssen Staatsausgaben stärker als zuletzt priorisiert werden. Die Verteilungskonflikte werden damit an Schärfe gewinnen.
In dieser ohnehin angespannten Phase führt die Dekarbonisierungspolitik (zunehmende Vermeidung von CO2-Emissionen) zu weiterem gesamtwirtschaftlichen Stress. Daher muss für die Klimapolitik umso mehr gelten, auf Effizienz zu achten, also den angepeilten Klimaschutzeffekt zu den geringst möglichen Kosten zu erreichen. Marktwirtschaftliche Instrumente wie CO2-Emissionspreise sind dafür das am besten geeignete Mittel und sollten deshalb Vorrang vor staatlichen Subventionsprogrammen und kleinteiliger Regulierung haben. Technologieoffenheit ist daher ein Muss, auch mit Blick auf negative Emissionsverfahren. Die Investitionen in die Energiewende bauen die Wirtschaft im Wesentlichen um, nicht auf. Es wird nicht mehr Energie produziert, sondern nur auf andere Weise. Daher kann man sich gesamtwirtschaftlich von den hohen Investitionen zur CO2-Vermeidung für die absehbare Zukunft keine wachstumsstärkende Effekte versprechen. Umso mehr kommt es daher darauf an, die verbleibenden Wachstumskräfte anzuregen.
Mit Blick auf die Alterssicherung sollte sich die Politik dem Rendezvous mit der Wirklichkeit nicht länger verschließen. Eine Rentenreform, die dem demografischen Wandel Rechnung zollt, duldet keinen Aufschub. Sollen Beiträge oder der Bundeszuschuss nicht aus dem Ruder laufen, wird eine maßvolle Koppelung des Renteneintrittsalters an die steigende Lebenserwartung unumgänglich werden. Je früher eine neue Regierung hier für Klarheit sorgt und sich von Illusionen verabschiedet, desto stabiler dürfte sie auch insgesamt aufgestellt sein.“
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