Vielfalt im Top-Management braucht weniger eine Quotenregelung als eine konsequent zukunftsgewandte Denkweise. Die Bilanz zur Vielfalt in deutschen Unternehmen fällt heute, am bundesweiten Diversity Tag, bescheiden aus. Mehr als dreißig Jahre Diversity Management haben weniger gebracht, als erhofft. Ein Ausblick auf den im Frühsommer erscheinenden neuen DAX-Report von Odgers Berndtson bescheinigt, dass die Weichen weiter auf Kontinuität statt auf Umbruch stehen: 80 Prozent der CEOs werden branchenintern rekrutiert und sind bis zu ihrer Berufung durchschnittlich 13 Jahre im Unternehmen. Das Durchschnittsalter der überwiegend männlichen Vorstände liegt seit Jahren konstant bei 53 Jahren. Der Frauenanteil stagniert seit 2017 bei 14 Prozent und liegt 2021 mit 17 Prozent nur unwesentlich höher. Es ist wünschenswert, dass die neue Frauenquote für Vorstände mehr bewirkt als eine quantitative Kurskorrektur. Allenfalls bei der Internationalität hat sich in den vergangenen Jahren etwas verändert. Ein Drittel der Vorstände in DAX-Konzernen ist mittlerweile nicht-deutscher Herkunft.

Im Mittelstand, dem Innovationsmotor Deutschlands, ist es mit der Vielfalt noch weiter her. Er ist seit jeher der Hort des Patriarchats. In den Unternehmen, die in Familienbesitz sind, liegt der Anteil weiblicher Vorstände unter fünf Prozent. Meist sind dies dann die Töchter, die das Erbe der Väter antreten. Sie aber sind es, die neue Denkweisen vorantreiben können und wichtige Impulse für die Zukunft setzen können.

Deutschland braucht mehr öffentlich sichtbare Erfolgsgeschichten der Vielfalt, damit ein echter Wandel im Denken und Handeln einsetzen kann. Denn es sind nicht die Männer in den Führungsetagen, sondern die Denkweisen und gelernten Verhaltensmuster, die mehr Vielfalt in Organisationen im Weg stehen. Unsere Erfahrung aus dem Alltag im Executive Search bestätigt es. Auf der Shortlist für die Position des neuen Geschäftsführers eines mittelständischen Unternehmens standen zu gleichen Teilen Frauen und Männer. Das war vom Unternehmen gefordert. Die Qualifikationen der Kandidaten waren ähnlich, die Herausforderungen an die vakante Position waren jedoch komplex. Am Ende sprangen die Frauen selbst ab, weil sie das Für und Wider der Position zu lange hinterfragten und sich letztlich scheuten, Aufgaben zu managen, die nicht ihre Kernkompetenzen abdeckten.

Top-Manager bestätigen mangelnde Diversität im Führungsteam

Tradierte Verhaltensmuster sind die eine Seite: Frauen, die mehr Rücksicht auf die sozialen Komponenten nehmen als Männer, weil es gelernt ist. Ein Geschlechterkampf, in dem der Mut des Tüchtigen gegenüber der Besonnenheit der Achtsamen siegt. Vorurteile gegenüber der Integrationsfähigkeit von Randgruppen, weil sie gelernte Strukturen aufbrechen könnten.

Die in Kürze erscheinende Diversity & Inclusion (D&I)-Studie von Odgers Berndtson zeigt auf der anderen Seite, wie groß die Schere zwischen Wunsch und Wirklichkeit weiterhin ist. Mehr als die Hälfte der mehr als 600 Befragten Top-Manager bestätigt, dass weder im Vorstand noch in den Führungsetagen ausreichend Diversität vorherrscht. Für Dreiviertel liegt das daran, dass es zu wenig Kandidaten mit einer entsprechenden Qualifikation gibt. Knapp die Hälfte sieht den Grund darin, dass D&I immer noch als Selbstzweck denn als substanzieller Teil des Wertekanons gesehen wird. Auf die Frage, ob sie einen Kandidaten in den Vorstand oder auf eine Führungsposition berufen würden, der persönlich nicht in der Lage ist, ein klares Verständnis von D&I zu demonstrieren, sind die Antworten zweigeteilt. Die ein Hälfte würde sie dennoch einstellen. Für die andere ist es eher unwahrscheinlich. Deutschland ist hier kein Einzelfall. Die in Großbritannien und Irland ebenfalls durchgeführte Studie weist dort ähnliche Ergebnisse auf.

Dabei gibt es sie, die Erfolgsgeschichten. Die Unternehmenstochter, die das Traditionsunternehmen nach dem Ausscheiden des Patriarchen in die Digitalisierung und damit in neue Gewinnzonen führt. Der ehemalige Hacker, der eine Leitungsposition in einer für die nationale Sicherheit relevanten Organisation innehat, obwohl und gerade, weil er dort ein Exot ist. Organisationen, die sich für neue Denkweisen öffnen und Vielfalt zulassen, können der Schnelligkeit in Veränderungsprozessen standhalten. Denn sie fördern Meinungsvielfalt, Kreativität durch neue Impulsgeber und verschaffen sich Wettbewerbsvorteile in einem immer komplexeren Marktumfeld.

Bleibt die Frage, woher mehr Diversität kommen soll, wenn es an diversen Gruppen mangelt. Im Fall der Frauenförderung können flexible Arbeitsmodelle helfen, damit persönliche Hemmnisse abgebaut werden. Vor allem aber brauchen wir Programme, die Frauen im Mittelmangement für kommende Führungsaufgaben befähigen. Denn hier, das zeigt der Global Gender Diversity Report von BoardEx von Juni 2020, mangelt es länderübergreifend an weiblichem Nachwuchs. Diversity & Inclusion muss im Mittelmanagement vorangetrieben werden. Denn hier wird das Top-Management von morgen geformt unabhängig von Geschlecht, nationaler oder sozialer Herkunft oder körperlicher Benachteiligung. Mit Blick auf die deutsche Wirtschaft muss sich zeigen, ob die guten Leitlinien und Zieldefinitionen auch Erfolgsgeschichten nachsichziehen. Denn Diversität ist gelebte Veränderungskultur und der Baustein für Innovationen und langfristigen Erfolg eines Unternehmens.

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