Gäbe es die Möglichkeit, bei Patienten nichtinvasiv und ohne schädliche Strahlung die molekulare Zusammensetzung eines Gewebes zu analysieren, so käme dies einer Revolution der Medizin gleich. Verschiedene Gewebe im Körper unterscheiden sich hinsichtlich ihres Sauerstoffgehalts, der Temperatur oder der Konzentration von Wasser oder anderen biologischen Molekülen. Gesunde Gewebe unterscheiden sich in manchen dieser Eigenschaften wiederum von kranken.
Wissenschaftler suchen daher bereits seit Jahrzehnten nach einer Methode, um diese Gewebeeigenschaften „auf einen Blick“ zu entschlüsseln. Die Techniken der spektralen Bildgebung machen sich die Tatsache zunutze, dass die verschiedenen Gewebekomponenten einzigartige optische Eigenschaften haben. Wenn Licht in biologisches Gewebe eindringt, durchläuft es komplexe Wechselwirkungen, etwa Reflexion, Absorption und Streuung. Spektrale Bildgebungstechniken, wie die multispektrale Bildgebung mit diffuser Reflexion und die Photoakustik, haben dadurch das Potenzial, wichtige Gewebeeigenschaften wie Sauerstoffgehalt, Temperatur oder die Konzentration von Wasser oder verschiedener biologischer Moleküle in hoher räumlicher Auflösung darzustellen.
Die jahrzehntelange Forschung auf diesem Gebiet hat jedoch bislang keine Methoden hervorgebracht, mit denen sich diese Gewebeparameter im klinischen Routineeinsatz akkurat quantifizieren lassen. Die Versuche, dieses Problem mit maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz anzugehen, scheitern häufig am Fehlen annotierter Referenzdaten, die für ein Training der Algorithmen benötigt werden. Das liegt insbesondere daran, dass es bisher keine Referenzmethode gibt, um zu den aufgenommenen Bildern die klinisch relevante Information -wie z.B. die Sauerstoffsättigung – räumlich aufgelöst zu generieren.
Lena Maier-Hein umgeht diesen gefürchteten „Flaschenhals“, indem sie Algorithmen auf Basis von simulierten Daten trainiert. Dazu nutzt sie sämtliches Vorwissen, um simulierte Bilder mit perfekten Referenzannotationen zu erzeugen. Dadurch ist sie nicht abhängig davon, dass ihr Daten zur Verfügung gestellt werden und kann gleichzeitig regulatorische Hürden umgehen.
Doch das Lernen aus Simulationen scheitert häufig am fehlenden Realismus der Simulation – das heißt, das vorhandene Wissen reicht nicht aus, um vollkommen realistische Bilder zu simulieren. KI-Forscher bezeichnen dieses Problem als „domain gap“. Maier-Hein geht noch einen Schritt weiter und nutzt KI-Methoden, um diese „Lücke“ zu überwinden. Sie setzt die KI also gleich doppelt ein: Zum einen für die Entschlüsselung der Bilder und zusätzlich, um die Simulation zu verbessern. Das Konzept soll es den bildgebenden Systemen also ermöglichen, aus ihren Erfahrungen zu lernen.
Diese zweite Generation der Spektralbildgebung ist für den Patienten sicher, kostengünstig und hat das Potenzial, viele Bereiche der Gesundheitsversorgung zu verbessern. Eine Vielzahl klinischer Anwendungen dafür ist denkbar – von der Krebsdiagnose bis hin zum Monitoring der Therapien von Herz-Kreislauf- und entzündlichen Erkrankungen.
Bereits 2014 hatte Lena Maier-Hein einen ERC-Strating Grant eingeworben, eine Förderung, die Nachwuchsforscher bei ihren ersten Schritten in die wissenschaftliche Selbständigkeit unterstützen soll. Der Europäische Forschungsrat zeichnet sie nun mit einem „Consolidator Grant“ aus. Dieses Förderinstrument soll bereits etablierten Nachwuchswissenschaftler – bis zu zwölf Jahre nach der Promotion – unterstützen und den Ausbau einer unabhängigen Karriere fördern.
Professor Dr. Ing. Lena Maier-Hein, Jahrgang 1980, hat am Karlsruhe Institute of Technology (KIT) sowie am Imperial College in London Informatik studiert und wurde 2013 von der Universität Heidelberg habilitiert. Sie forscht seit 2009 am DKFZ, zunächst als Postdoktorandin, seit 2012 als Leiterin einer selbständigen Nachwuchsgruppe, inzwischen als Abteilungsleiterin. Lena Maier-Hein konnte bereits eine ganze Reihe an wissenschaftlichen Auszeichnungen sammeln, darunter 2013 den Heinz-Maier-Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie 2017 der Preis der Berlin-Brandenburgischen Akademie.
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können.
Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.
Gemeinsam mit Partnern aus den Universitätskliniken betreibt das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) an den Standorten Heidelberg und Dresden, in Heidelberg außerdem das Hopp-Kindertumorzentrum KiTZ. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums an den NCT- und den DKTK-Standorten ist ein wichtiger Beitrag, um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Krebspatienten zu verbessern.
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.
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