„Seit der Finanzkrise 2008 schotten sich die führenden Industrieländer zunehmend ab und schützen ihre eigenen Industrien und Landwirtschaft. Die Regeln der Welthandelsorganisation werden immer häufiger ignoriert. Bilaterale Handelsverträge nehmen zu. Der Handel wird zusehends unfreier. Unter US-Präsident Trump wurde die Abschottungspolitik beschleunigt. 2020 kommt Corona und versetzt der Weltwirtschaft einen weiteren Schlag: Die Verletzlichkeit unseres globalen Systems wird immer offensichtlicher. Der so genannte Unsicherheits-Index, den Forscher der Universität Stanford entwickelt haben, sagt aus, dass durch Corona die Unsicherheit um 300 Prozent gestiegen ist. Laut Spiegel-Umfrage vom Mai 2020 sehen weniger als 40 Prozent der Befragten die Globalisierung als Chance; fast 60 Prozent sehen sie als Risiko. 2017 war das noch umgekehrt.
Die Zeit für eine konsequente Energiewende hin zu dezentraler Selbstversorgung mit Erneuerbaren Energien ist also günstig: Alle überlegen sich, wie sie ihre Resilienz in Krisenfällen erhöhen können. Autarkiefähige Räume werden entstehen, die auch ein paar Wochen Auszeit nehmen können; dieser Trend ist absehbar. Mehr regionale Erzeugung und weniger Just-in-time-Abhängigkeiten sind die Antworten auf globale Risiken.
An die internationalen Spielregeln halten sich längst immer weniger Staaten. An ihrer Stelle könnte man jetzt regionale Strukturen stärken. Den Produzenten von fossilen Energien und den Herstellern der damit betriebenen Maschinen drohen nun nämlich einschneidende Maßnahmen. Vor allem den großen Konzernen in Deutschland, die den Klimawandel ignorieren, muss man jetzt sukzessive die umweltschädlichen Subventionen in Höhe von fast 100 Milliarden Euro jährlich alleine in Deutschland streichen.
Eine verpasste Chance
Das 130-Milliarden-Konjunkturpaket der Bundesregierung ist nicht nachhaltig. Zwar gibt es einige lauwarme grüne Einsprengsel: So soll mit elf Milliarden aus dem Haushalt die EEG-Umlage bei 6 Cent je kWh gehalten werden. Doch ohne den elenden Merit-Order-Effekt und die „Besondere Ausgleichsregelung“, die 2.000 energieintensive Unternehmen verschont, gäbe es gar keine hohe EEG-Umlage. Nicht auszuschließen ist sogar eine böse Absicht. Nämlich die, das EEG über die Haushaltsfinanzierung zu einer verbotenen Beihilfe zu machen, um es auf diese Weise komplett einzukassieren.
Der 52-GW-PV-Deckel soll gestrichen werden, was seit zwei Jahren permanent versprochen wird. Der Klimaschutz in Kommunen wird mit 100 Millionen gefördert, weniger als ein Promille der Gesamtausschüttung. Der ÖPNV soll 2,5 und die Bahn fünf Milliarden bekommen, um die Verluste des Corona-Lockdowns aufzufangen. Und 2,5 Milliarden gehen dankenswerterweise in die bisher fast nicht stattfindende CO2-Gebäudesanierung.
Neun Milliarden sollen in eine zentralisiert angedachte Wasserstoffstrategie fließen. Der Energiespeicher Wasserstoff ist vielseitig einsetzbar und die Technologien könnten ein deutscher Exportschlager werden. Ökologisch ist Wasserstoff, wenn er aus Überschussstrom gewonnen wird, wenn also über 100 Prozent des sonstigen Energieverbrauchs bereits erneuerbar erzeugt wird. Davon sind wir noch weit entfernt. Brauner Wasserstoff aus Erdgas wird bisher zu 95 Prozent vor Ort erzeugt. Für Vor-Ort-Strom sind Photovoltaik und Windkraft am besten und billigsten. Freilich wäre lokal produzierter grüner Wasserstoff aus Erneuerbaren Energien dezentral. Vor allem teure Offshore-Windkraft und die Länder Nordafrikas sind deshalb als Produktionsorte vorgesehen, wo es weit und breit keine Abnehmer für die beim Umwandlungsprozess anfallende Wärme gibt. In Deutschland hingegen will die Große Koalition in den Bau von LNG (Flüssigerdgas)-Anlagen investieren, um amerikanisches Fracking-Gas zu importieren, den klimaschädlichsten Brennstoff überhaupt.
Wenn man sich überlegt, dass die hohen Kohlesubventionen in den 1970ern damit begründet wurden, dass man von der Ölimportabhängigkeit loskommen müsse, erstaunt es doch, dass die Zukunft nicht in einheimischer Energieerzeugung auf den ausreichend vorhandenen Flächen auf Dächern und Fassaden im Land gesehen wird, sondern Deutschland auf die Zuverlässigkeit ausländischer Partner vertraut. Von einer Initiative für dezentrale Batteriespeicher oder gar von Wäldern und Mooren als CO2-Speicher ist keine Rede.
Auch sonst wird mit dem Konjunkturpaket die ohnehin schon nicht nachhaltige Wirtschaft wieder hochgefahren. Die Abwrackprämie kommt mit 2,2 Milliarden. Wenigstens soll sie nicht mehr für reine Verbrenner bezahlt werden, aber als reines Austauschprojekt ist das ein klares Bekenntnis zu noch mehr Fahrzeugen auf der Straße. Eine Aufwertung des Radfahrer- und Fußgängerverkehrs ist nicht vorgesehen. Deutsche Autohersteller haben in organisierter Kriminalität im Einklang mit dem Kraftfahrtbundesamt gelogen und betrogen, was das Zeug hält. Jetzt wird ihnen wieder geholfen. Die Deutsche Umwelthilfe geht davon aus, dass 2025 jeder zweite Neuwagen ein SUV mit Alibi-E-Motörchen sein wird. Deshalb möchten CDU/CSU auch die bereits beschlossenen CO2-Flottengrenzwerte wieder streichen.
Jetzt ist die Stunde der Konversion
Eine Förderung für Elektroautos sollte wenigstens verknüpft werden mit Investitionen der Autohersteller in Erneuerbare-Energien-Anlagen in der Größenordnung der Energiebilanz der produzierten E-Autos und in den Bau eigener Stromspeicher. So würden die Automobilkonzerne zu Batterie-und Stromproduzenten. Gleiches gilt für die zugesagten zwei Milliarden Pkw-Forschungshilfen, die 1,2 Milliarden für die Umstellung der Lkw-Antriebe, die Milliarden für die Schifffahrt und den Flugverkehr, die neun Milliarden ohne Umweltauflagen an die Lufthansa noch gar nicht berücksichtigt. Es ist nicht nachhaltig, immer mehr Autos, Schiffe und Flugzeuge zu bauen. 20 Milliarden werden für eine Mehrwertsteuer-Ermäßigung nach dem Gießkannenprinzip ausgegeben. Anreize für weniger Umweltverbrauch, Kreislaufwirtschaft, Recycling oder eine ökologische Landwirtschaft gibt es keine.
Zentralbank: Klima-Bail-out als Rettungsaktion
Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen: 2008 schuf die Bundesregierung einen Rettungsschirm für Banken, der fast 500 Milliarden betrug – das teuerste Gesetz der deutschen Geschichte. Die Finanzkrise schlitterte ab 2010 in die Eurokrise. Als das globale Finanzsystem am Rand des Abgrunds stand, wurde der totale Absturz von den Zentralbanken verhindert. EZB-Präsident Mario Draghi holte 2012 die geldpolitische Bazooka heraus und versicherte, alles Notwendige zu tun – Whatever it takes, um mit dem unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen den Euro zu erhalten. 2.600 Milliarden Euro, ein Viertel der europäischen Gesamtwirtschaftsleistung, schöpfte die Europäische Zentralbank zwischen 2015 und 2018 aus dem Nichts, um im Rahmen des Quantitative Easing gestrandete Wertpapiere oder Staatsanleihen aufzukaufen. Die Umwelt hatte nichts davon. 2020 kommt mit Corona der nächste Schwarze Schwan. Und wieder schöpft die EZB mit dem PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme) 1.400 Milliarden, um kaputte Anleihen zu kaufen. Und die Umwelt? Wieder Fehlanzeige!
Mit der unausweichlich herannahenden Energiewende werden die bereits in den Bilanzen der Energieunternehmen befindlichen Rohstoffvorräte sowie die gesamte fossile Infrastruktur wie Kraftwerke und Raffinerien faktisch wertlos. In der Folge werden die Kurse der Aktien der fossilen Energieunternehmen entsprechend einbrechen. Aber es könnte noch heftiger kommen: Sollte es nicht gelingen, die Klimaerwärmung durch eine stark beschleunigte Konversion von fossilen zu erneuerbaren Energieträgern zu stoppen, ist mit einer Explosion der klimabedingten Schäden zu rechnen, etwa Waldbrände, Flutschäden, Ernteausfälle und Hitzewellen. Diese Schäden sind zum Teil von damit überforderten Versicherern gedeckt. Unkalkulierbare Kreditausfälle bei den Banken kommen noch dazu. Auch hier drohen massive Instabilitäten auf den Finanzmärkten.
Nicht alle Kosten können zukünftigen Generationen überlassen werden. Die Weltwirtschaft ist mit einer enormen weltweiten Bedrohung konfrontiert. Wir haben in den Finanzkrisen ebenso wie bei Corona erlebt, wie schnell der Staat aus seiner Fürsorgepflicht für die Bürger heraus in der Lage ist, konsequent durchzugreifen. Ein Klima-Bail-out würde es den Energieunternehmen ermöglichen, ihre faktisch verlorenen fossilen Vermögenswerte in neue, nachhaltige Vermögenswerte aus Erneuerbaren Energien zu konvertieren. Ein Bail-out-Großmanöver könnte den Widerstand der Konzerne und damit auch der Gewerkschaften und der Politik gegen eine schnelle Energiewende brechen und stattdessen einen rasanten Schwung hin zu einer schnellen Energiewende auslösen. Wir hätten eine Umkehrung des Anreizsystems: Während die Energie- und Automobilunternehmen heute ein starkes Interesse daran haben, ihre fossilen Geschäftsmodelle noch so lange wie irgend möglich weiter zu betreiben, wäre es bei einem Klima-Bail-out attraktiv für sie, möglichst schnell in den Aufbau Erneuerbarer Energien zu investieren.
Fazit:
1. Mindestens 100 Milliarden Euro jährliche klima- und gesundheitsschädliche Subventionen alleine in Deutschland bleiben unangetastet.
2. Ein beschleunigter Aufbau dezentraler Erneuerbarer Energien ist nicht geplant. Das Erreichen der – ohnehin ungenügenden – Pariser Klimaziele spielt für Deutschland wegen Corona keine Rolle mehr.
3. Wachstum statt Lebensqualität ist die Devise, also alles soll wieder hochgefahren werden; koste es, was es wolle. Mit der Senkung der Umsatzsteuer soll der Binnenkonsum und keine Neuinvestitionen gefördert werden.
4. Die meisten geplanten Maßnahmen sind systemerhaltend. Die Chance auf einen Paradigmenwandel wird damit verpasst. Die Jungen, die sich seit Jahren für eine klimagerechte Welt einsetzen, bekommen eine satte Ohrfeige, verpackt in ein unglaubwürdiges Versprechen: "Wir müssen jetzt wegen Corona ein letztes Mal die schmutzigen Industrien mit ihren schmutzigen Jobs retten; danach wollen wir aber ganz wirklich den Autoverkehr zurückdrängen, die Schulen renovieren und die Städte begrünen." Wer’s glaubt wird selig. Sicher ist nur, dass jetzt die Staatsschuld steigt, wofür die Jungen später auch noch geradestehen müssen.
Klüger wäre es, jetzt weitgehend kostenneutral eine Strom-, Wärme- und Mobilitätswende in Deutschland zu organisieren – und die 130 Milliarden Euro zu nutzen, um Härten abzufedern und die Energiewende zu beschleunigen. Europaweit könnten die bereits zugesagten 1,4 Billionen Euro der EZB ausreichen, um einen Klima-Bail-out finanziell zu stemmen.
Die historisch hohen Geldsummen, die jetzt bewegt werden, müssten Maßnahmen fördern, die
1. unmittelbar dem Aufbau erneuerbarer Anlagen dienen, die
2. dezentral sind, also nah am Verbrauch, und die
3. schnell gehen, weil uns der Klimawandel nicht viel Zeit lässt.
Das wäre ein systemrelevanter Beitrag, der die ganze Gesellschaft vor zukünftigen Risiken bewahrt. Davon ist in den ‚Coronomics-Rettungsprogrammen‘ leider nicht viel zu sehen.“
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