Didier Borowski, Head of Global Views bei Amundi: 

„Die aktuell auf beiden Seiten des Atlantiks umgesetzte Wirtschaftspolitik ist sowohl an der fiskalpolitischen als auch an der geldpolitischen Front beispiellos. Wir sind Zeugen einer De-facto-Fusion von Zentralbank- und Staatsbilanzen. Betrachten wir die Garantien der Regierungen der Eurozone, die sie für Unternehmen, deren Geschäftstätigkeit plötzlich eingestellt wurde, geben: Angesichts des Ausmaßes der sich abzeichnenden Rezession werden die Staatsschulden sehr stark ansteigen. Dementsprechend würden die Anleiherenditen in die Höhe schnellen, wenn es keine geldpolitische Lockerung der Zentralbanken, sowohl der EZB, der Fed als auch der Bank of England, gäbe. Folglich werden nun die Bilanzen der Zentralbanken zusammen mit den Staatsschulden in die Höhe schnellen. Die Regierungen sind quasi zu den Käufern der letzten Instanz geworden, während die Zentralbanken ihre Rolle als Kreditgeber der letzten Instanz spielen. Fiskal- und Geldpolitik sind miteinander verflochten, und dies ist nicht umkehrbar.

Finanzkrisen bieten eine Chance für institutionelle Reformen

Historisch gesehen haben Wirtschafts- und Finanzkrisen Staatsregierungen immer die Gelegenheit geboten, sich mit den geeigneten Instrumenten zu ihrer Eindämmung auszustatten. Nach der Krise in den 1930er Jahren definierte die Fed Statuten, die es ihr ermöglichten, die weltweite Krise in den Griff zu bekommen. Und es ist der Staatsschuldenkrise der Eurozone von 2012 zu verdanken, dass die EZB heute – unter anderem – die von den Regierungen gewährten Garantien unterstützen kann. Die meisten Instrumente, die die EZB heute mobilisiert hat oder mobilisieren könnte, wurden nach 2012 eingeführt, um den Euro zu retten.

Im Laufe der Jahrzehnte ist der USA-Politik-Mix flexibler und transparenter geworden. Tatsächlich hat die Eurozone noch nicht den gleichen Grad an politischer Reife erreicht. Daher ist eine Finanzierung der Schulden in den USA durch die Notenpresse („Debt Monetization“) durchaus möglich, während sie für einige Eurozonen-Länder immer noch ein Tabu ist.

Die Europäische Währungsunion ist noch unvollständig

Die Europäische Währungsunion kann einen systemischen Schock mit den ihr jetzt zur Verfügung stehenden Instrumenten nicht bewältigen. Unabhängig von der Debatte über die Schuldenfinanzierung ist die institutionelle und finanzielle Struktur der Eurozone nicht in der Lage, alle Risiken des gegenwärtigen epidemischen Schocks einzudämmen.

In Ermangelung eines föderalen Haushalts waren die Regierungen in den letzten Wochen gezwungen, individuell zu handeln, indem sie schlecht abgestimmte Maßnahmen ergriffen, insbesondere in den schwächsten Ländern der Eurozone. Das wird aber wahrscheinlich nicht ausreichen. Interessanterweise schlug die Eurogruppe am 23. März vor, den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM zu mobilisieren, indem eine spezielle Kreditlinie in Höhe von 2 % des Bruttoinlandsproduktes für alle Staaten der Eurozone, die dies beantragen, eröffnet wird. Diese Kreditlinie wäre nur unter der Bedingung einer "Rückkehr zur Stabilität" möglich. Das Fehlen einer starken Auflage für die Kreditaufnahme entsprach eindeutig nicht dem ursprünglichen Geist der 2012 geschaffenen ESM-Finanzhilfe. Die Coronavirus-Pandemie stellt jedoch einen symmetrischen externen Schock dar, und der Einwand eines quasi moralischen Risikos sollte verschwinden.

Überraschenderweise hat der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs zwei Tage später diesen Vorschlag nicht angenommen. Im Moment weigern sich noch zwei Länder – Deutschland und die Niederlande -, in diese Richtung zu gehen. Wir glauben jedoch weiterhin, dass die Kreditlinie des ESM irgendwann mobilisiert werden wird. Und wenn dies der Fall ist, wäre es de facto ein erster Schritt in Richtung Vergemeinschaftung der Schulden.

Letztlich werden die Instrumente, die zur Bewältigung dieser Krise eingesetzt werden, die Debatte unweigerlich prägen, wenn die Krise vorbei ist. Die europäischen Staats- und Regierungschefs werden dann gezwungen sein, anzuerkennen, dass ein einziger Bundeshaushalt und ein einziges Finanzierungsinstrument für die Eurozone für die Bewältigung der Krise wohl effizienter gewesen wäre. Die Schaffung eines europäischen Haushalts und einer gemeinsamen, möglicherweise zentralbankfinanzierten Verschuldung werden vielleicht die institutionellen Spuren sein, die diese Krise in der Geschichte hinterlassen wird: ein Gewaltmarsch zu mehr Europa!“

Das aktuelle Cross Asset Investment Strategy Paper finden Sie im Amundi Research Center.

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